Inspiriert von Ornamenten und Stofflichkeit als kulturhistorische Bestandteile der Volkskunst, von Märchen und Mythen sowie Traditionen und Ritualen, erscheinen diese Einflüsse im Werk der Malerin und Keramik-Bildhauerin Beate Höing in einer ganz eigenständigen Ikonografie. Tatsächlich Vorhandenes, Assoziiertes und Erinnertes fügt sich in einem ambivalenten Spiel aus Realität und Fiktion zusammen, in welchem Traum und Albtraum, Entspannung und Erschrecken dicht beieinander liegen. Inhalte, Materialität und Form sind untrennbar miteinander verbunden. Die Ölgemälde, Keramik-Skulpturen  und Installationen der Künstlerin vermitteln zudem eine Begeisterung für die Schönheit, Zartheit und Ästhetik der Dinge sowie die Lust am Spiel mit den gestalterischen Möglichkeiten.

Im malerischen Werk Beate Höings zeigen sich Bilderwelten in Anlehnung an fotografische Vorlagen der 70er und 80er Jahre. Die Intimität eines Augenblicks wird ausschnitthaft festgehalten. Die dargestellten Bildmotive erscheinen auf den ersten Blick als Wiedergabe einer heilen Welt oder Dokumentation vergangener Tage. Die friedliche Idylle trügt und offenbart auf den zweiten Blick auch Ambivalenz und Doppelbödigkeit.

Ebenso verhält es sich mit den keramischen Arbeiten, die als eigenständiges Medium im Wechselspiel zur Malerei entstehen. Das keramische Material transportiert indirekt die Vorstellung von Kitsch, aber auch von traditionellem Handwerk. Diese „Hypothek“ kommt der inhaltlichen Aussage entgegen, wird von der Künstlerin fast provokant gesteigert. Eingearbeitete Nippes- und Porzellanfigürchen, seit Jahrhunderten Inbegriff bürgerlicher Vorlieben, als Dekorationsartikel oder Souvenir geliebt oder als Kitsch abgetan, bieten Spielraum für Imaginäres und Fantastisches.
Mädchen-, Jungenfiguren, Träumende oder Schlafende, Märchen-, Fabelwesen oder Tiere – fragil erwachsen die Figuren aus floralen, opulenten Sockelelementen, stehen für sich selbst oder präsentieren sich in Figurenarrangements, auch im Zusammenspiel mir der Malerei.

Die Arbeiten Beate Höings zeigen einen sehr poetischen, zuweilen ironischen Blick auf Vergangenes, erzählen von Erinnerungen, Träumen und surrealen Welten, auch mit einem humorvollen Augenzwinkern.

Jutta Meyer zu Riemsloh M.A.

(english)

Beate Höing—inspired by the ornamental and the textural material used in the cultural-historical folk art of fairy tales and myths as well as of traditions and rituals—took up these influences in her painting and ceramic work. Out of them she has created her own autonomous iconography. Hereby already inherent,associated and recollected images come together in an ambivalent game of reality and fiction where dreams and nightmares, relief and dread lie side by side. Materiality and form are thus inseparably linked. Furthermore the artist’s oil paintings and ceramic sculptures, including her installations, tell of a passion for the beauty, the delicacy and the aesthetics of things as well as of a playful lust for all innate possibilities.

Beate Höing’s paintings present a world of images based on photographic sources from the 1970s and 80s. The intimacy of the moment is recorded piecemeal. A further work series depicts “headdresses”, also in oversized formats. The pictured motifs at first seem to be drawn from a cozy world or from a documentation of bygone days. This peaceful idyll is deceptive, however, and a second glance also reveals the world’s ambivalences and doublespeak.

All of which is likewise true for her ceramic works that, as an independent medium, are engaged in interaction with painting. The ceramic material indirectly calls up a suspicion of kitsch, but also of traditional craftsmanship. This “loan” counteracts the content-related statement that the artist almost provocatively intensifies. The incorporation of bric-a-brac and porcelain figures—for centuries the embodiment of bourgeois taste, loved as decorative itemsor souvenirs or dismissed as kitsch—offer adequate space for the imagination and the fantastic. Maidens and youths, fairy-tale and fabled creatures or animals asleep or dreaming: these fragile figures grow out of floral and opulent pedestal elements, stand on their own, present themselves in figural arrangements, or asroom-high, wall-filling installations.

Beate Höing’s works cast a very poetic, at times ironic, glance onto the past, tell of nostalgic memories, of dreams and surreal worlds, complete with a whimsical twinkle of her eye.

Jutta Meyer zu Riemsloh M.A.

From the German by Jeanne Haunschild

Beate Höing

Kunst ist Form und Formung und dabei geht es auch um die ständige Umformung und „Erneuerung des Bildes der Welt und des Verhaltens in ihr, indem sie durch ihre Erlebnisse die Formel der Erfahrung sprengt.“[1]

Die Objekte von Beate Höing folgen diesem Prinzip. Sie sind eine Form des wilden Denkens, indem sie immer wieder abrupte und unvorhergesehene Kombinationen ins Werk setzen, Gattungsgrenzen und einsinnige Zuordnungen überspringen.  Diese Skulpturen unterwandern die Grenzlinien zwischen Kunst und Kunsthandwerk, zwischen high and low. Einflüsse der Volkskunst, Zutaten aus dem Reich des Nippes und des Gartenzwergs, Märchenhaftes und Komisches verwandeln sich im Werk von Beate Höing zu einer ganz eigenständigen Ikonografie. Ihre fein modellierten Objekte, Mädchen, Flora und Fauna, die einem Bilderbuch entsprungen scheinen und Fundstücke, in denen Erinnerungen nisten, fügen sich in einem schillernden Spiel zusammen, lassen unterschiedliche Zeit- und Dingebenen miteinander in Kontakt kommen. Ganz nah bei dem Schönen kann das Schreckliche liegen, wenn ein Vögelchen rücklings in einem Obstkörbchen liegt. Traum und Alptraum, Ding und Vision rücken sich wechselweise auf den Pelz, und all diese Dinge sind schön und grausam, wie das „zufällige Zusammentreffen einer Nähmaschine und eines Regenschirms auf einem Seziertisch.“[2] Beate Höings Material, die Keramik, schleppt ohne weiteres die Vorstellung von Kitsch und unnützen Zierrat, von der verstaubter Gemütlichkeit aus der Spitzendeckchen-Welt mit sich. Diese Hypothek  wird  in und durch die Arbeiten Beate Höings souverän umgemünzt, wenn sie in ihren Arbeiten  eine der ältesten Kunstformen überhaupt aufgreift, in der vielleicht unbewusst die Sehnsucht des Menschen nach dem Unbeschädigten, Intakten, Erfreulichen, Versöhnlichen residiert. Beate Höing pointiert dieses Heimweh nach einer anderen, der vergangenen Zeit, nach einem verlorenen Ort –  und zugleich reflektiert sie die Rätselfrage, was mit dem Verlorenen eigentlich verlorengegangen ist: Es geht in diesen Objekten auch um die Reflexion der Erinnerung selbst.  Und wie im numinosen Gefühl der Nostalgie erschöpfen sich diese Objekte nicht in der Verklärung vergangener Momente um ihrer selbst willen, sondern ihr Sinn, ihre Potentialität besteht darin, dass sie einen imaginären Raum schaffen und füllen. Beate Höing steigert – fast provokant – die im Bric-à-Brac eingelagerte Sehnsucht nach der heilen Welt, zugleich aber weist die Zerbrechlichkeit ihres Materials darauf, dass die Welt eine gebrechliche Einrichtung ist, in der Ideale und ihre Verrat sich je und je verquicken. Die von Beate Höing in ihre Objekte eingearbeiteten Nippes- und Porzellanfigürchen waren immer schon der Inbegriff kleinbürgerlicher Spießigkeit. Als schmückendes Detail oder Souvenir geliebt oder als Kitsch verurteilt, ornamentieren  sie die Personnage, die aus einem Buch der Natur- wie der Phantasiegeschichte zu stammen scheint. In befremdlicher, verfremdender Opulenz erwachsen  Figuren aus florealen Sockelelementen oder lagern und träumen auf den aus vielerlei Fundstücken agglomerierten Sänften oder Inselchen. Jedes Objekt ist wie die Verfestigung eines Traums, ein kompaktes Stück, das aus einem Traum in die Wirklichkeit fällt und die Wirklichkeit auflöst. In solchen Bildgebilden wird die Wirklichkeit durchlöchert, sie führen  in Bereiche der Phantasie und des Unbewussten.

Tiere haben eine lange kunstgeschichtliche Tradition, und auch diese wird von Beate Höing ironisch und reflektiert aufgegriffen: Im Tier sieht der  Mensch sich selbst, kann sein Verhältnis zu den anderen Lebewesen auf diesem Planeten, die ihm auf beunruhigende Weise seit jeher ebenso nah wie fern gewesen sind, bedenken. Die Eichhörnchen, Hasen, Vögel blicken uns an, fremd und vertraut, menschlich und doch das ganz andere. Auch der Affe, der hier mehrfach auftaucht, ist nicht nur eine Spezies der Natur, sondern auch der Kunst. Seit dem Mittelalter ist er dort heimisch. Im Bild des Affen, der dem Menschen auch genetisch so nahe ist und sich doch nicht über den Status des Tierhaften erheben kann, wird diese Fernnähe, die Ähnlichkeit  im Unähnlichen besonders brisant. Und vielleicht kann gerade der Affe wegen seiner Fähigkeit zur Nachahmung („Nachäffen“) zur konvenablen Spezies der Veranschaulichung menschlichen Verhaltens werden – und zum grotesken Alter Ego des Künstlers, der ja lange als nichtsnutziger Spiegler dessen was eh schon da ist, verurteilt wurde.

Ganz bewusst, mokant und subversiv reflektiert Beate Höing das Totschlagargument Kitsch, indem sie gerade die Elemente in die Kunst einzuführen wagt, die die Kunst am meisten fürchtet: so als ob selbst der Kitsch, der mit Adorno in der Kunst lauert, um aus ihr bei so vielen Gelegenheiten hervorzuspringen. In ihren Skulpturen lässt Beate Hönig den Kitsch gleichsam zum Mitspieler werden – koboldhaft, jeder Einordnung entschlüpfend – als eine Parodie der Katharsis.[3]

So kann das Formprinzip von Brancusis unendlicher Säule, die als Himmelsleiter auf Transzendenz, auf Sphären jenseits des Realen weist, aufgegriffen und heiter unterminiert werden: Besteht Brancusis Skulptur aus der Wiederholung gleicher geometrischer  Elemente, so türmen sich in Beate Höings Säulen ganz unterschiedliche, unverwandte Dinge in kapriziöser Vielfalt, Vasen, Schälchen, Köpfchen. Zugleich aber ist der subkutane Rekurs auf Brancusi stringent: Auch ihm ging es um Synthese, um die Verwandlung von Formen der Volkskunst in Symbole einer zeitlosen Gegenwart.

In den Objekten von Beate Höing berühren sich Reiz und Rührung und entwickeln, entfalten sich in und zu heiterer, freier und befreiender Anschauung. Hier erwacht ein Möglichkeitssinn, der erst ein Anderes erspielen kann. So kann die Kunst Gegenbilder zur eindimensionalen  Wirklichkeit bieten. Die Objekte erzählen davon, wie sich der Mensch auf die Welt einlassen, wie er sie formen, wie er sie als berührbar und mobil erfahren kann: eine lustvolle Affiliation und ein Spiel mit Mesalliancen, mit Influence und Influenza. Trennung und Verbindung, Schnitt und Zusammenhang, Einfall und Zufall, Entschiedenheit und Freiheit sind jeweils in eigenwilliger, schwebender Ambivalenz.

„Die Aufgabe ist: immer neue Lösungen, Zusammenhänge, Konstellationen, Variablen zu entdecken, Prototypen von Geschehensabläufen hinzustellen, lockende Vorbilder, wie man Mensch sein kann. Den inneren Menschen erfinden.“[4]

Dorothée Bauerle-Willert

[1]Robert Musil, Skizze der Erkenntnis des Dichters, In: Gesammelte Werke, hrsg. von Adolf Frisé , Bd. 8, Reinbek bei Hamburg 1978, S. 1152

[2] Comte de Lautréamont, Die Gesänge des Madoror, München 1976, S. 206

[3] Theodor W. Adorno, Ästhetische Theorie, Frankfurt am Main 1970, S. 355

[4]Robert Musil, Skizze der Erkenntnis des Dichters, In: Gesammelte Werke, hrsg. von Adolf Frisé , Bd. 8, Reinbek bei Hamburg 1978, S. 1029

Text aus dem Katalog „summen“ – Beate Höing
anlässlich der Ausstellungen im Stadtmuseum Beckum, Kunstverein Kreis Gütersloh, Stadtmuseum Siegburg, 2012/2013

Was bleibt …

Tapeten, Vorhänge, Spitzen, Trachtenhauben und Häkeldecken – Beate Höing zelebriert in ihrer Malerei geradezu das Ornamentale. Leicht verschwommen durch den  vielschichtigen Lasurauftrag ziehen verschiedene Muster die Blicke magnetisch auf sich und geben sie eher widerwillig frei auf die Protagonisten der kleinen Szenerien.

Wen wundert bei dieser offensichtlichen Faszination für das Ornament die aktuelle Hinwendung von Beate Höing zu reich gestalteten Teppichen als künstlerisches Motiv? Umso größer mag allerdings die Verwunderung sein, dass die Künstlerin für diese großformatigen Bodenarbeiten ein sehr hartes, kaltes Material verwendet: Keramik. 

Bereits seit 2008 arbeitet Beate Höing mit Keramik und nutzt Ton, um die Themen ihrer Malerei auch ins Dreidimensionale zu übertragen. Die in vordergründig improvisierter Manier geformten Figuren, kombiniert mit teilweise kitschigen Keramikbruchstücken, scheinen der vertraut-heimeligen Atmosphäre ihrer kleinformatigen Interieurbilder oder Stillleben entstiegen. Auch in diesem inhaltlichen Kontext ist die künstlerische Beschäftigung mit Teppichen als Merkmal häuslicher Gemütlichkeit nur folgerichtig.

Für die Erstellung ihrer „Teppiche“ ergänzt Beate Höing tausende von Bruchstücken absichtlich zerschlagener Porzellane mit selbstgeformten keramischen Elementen zu wohlgeordneten Assemblagen von schwelgerischer Opulenz. Bestechen die drei Bodenarbeiten „playing by heart“ von 2020, „Lebensbaum“ von 2020 und „into the blue“ von 2021 auf den ersten Blick durch ihre Fülle und Pracht, verunsichern sie bei genauer Betrachtung. Eventuell löst ihr vorrangiges Gestaltungsmittel der durch die Künstlerin eigens produzierten Scherben sogar Unbehagen aus – beruht der optische Reiz und Reichtum somit geradezu provokant auf Zerstörung. 

Zerstörung von Keramik – wer denkt im künstlerischen Bereich nicht sofort an die Aktion „Dropping a Han Dynasty Urn“ von Ai Weiwei aus dem Jahre 1995? Setzt Beate Höing auch dieses Mittel ein zur Reflexion über den Verlust kultureller Traditionen? Ist ihr Zerschlagen keramischer Unikate ebenso wie das von kommerziellem Serienkitsch ein Sinnieren über Kunst und Kommerz oder gar ein Hinweis auf einen möglichen Werteverlust in unserer Gesellschaft? 

Scherben im Umgang mit Keramik gehören zu den Alltagserfahrungen jedes Einzelnen. Gerade die Zerbrechlichkeit des Materials und die damit deutlich den Gegenständen innewohnende Endlichkeit ist ein besonderes Merkmal von Keramiken – egal, ob kunstvoll hergestellte Einzelstücke sowie Kleinstauflagen oder industriell gefertigte Massenware. Im Bruch verlieren sie gemeinsam nicht nur ihre Schönheit, Perfektion und häufig die Funktion, sondern auch ihren monetären Wert. 

Was bleibt, sind bestenfalls schöne Erinnerungen an die unversehrten Stücke, die sie einmal waren und als die sie vielleicht sogar geliebt wurden.

Ähnlich der erwähnten Aktion des chinesischen Starkünstlers beschränkt sich Beate Höing nicht auf den aggressiven Akt des Zerschlagens, sondern sie transformiert das vorgeformte Material nach dessen Entbindung aus den bisherigen Bedeutungs- und Funktionszusammenhängen in neue ästhetische Kontexte. Die entstandenen Fragmente verwendet Ai Weiwei zwar nicht konkret weiter, überträgt sie aber durch die dokumentierende Fotosequenz in eine andere künstlerische Gattung. So folgt auf die Destruktion bei beiden Künster:innen neue Schönheit und neues Leben – immer vor der Folie der Erinnerung, denn über das Gestaltungsmittel Scherben bleibt das Vergänglichkeitsthema und das Erinnerungsbewusstsein per se Teil ihrer Kompositionen.

Die künstlerische Neuinterpretation der veränderten objets trouvés durch Beate Höing ist ein höchst komplexes, wenn auch spielerisches Verfahren. Wie alle ihren Arbeiten sind auch die „Teppiche“ inhaltlich in der Gedankenwelt von Volkskunst, Mythologie, Kulturgeschichte, Märchen und eigenen Erinnerungen verortet. 

In „playing by heart“ von 2020 wird der Bezug zu Orientteppichen besonders in der Aufsicht deutlich. Beate Höing orientiert sich in Größe und Ornamentik an sogenannten „Persern“, wenn sie die Mitte ihrer rechteckigen Bodenarbeit mit einem Sternenmedaillon schmückt, umgeben von verschiedenen floralen Mustern in Kartuschen, angeordnet auf einer blauen Raute. Auch die Blüteneckmotive nebst Bordüren greifen die Mustervorgaben eines Originalteppichs auf. Doch statt flauschigem, zum Barfußlaufen einladenden Teppichflor ragen scharfkantige Porzellanspitzen in den Raum.

Wie für Beate Höing typisch, erzählen die Motive in ihrer Reichhaltigkeit und in der Zusammenstellung der Keramikbruchstücke Geschichten. Verschiedene Geschichten, denn jede/r trifft aus Höings Angeboten ihre/seine persönliche Wahl. Nichts ist determiniert, alle Bezüge sind frei interpretierbar. So können ihre Arbeiten auch ganz verschiedene Assoziationen wecken. Besonders aufgrund der Dreidimensionalität lässt das Werk „playing by heart“ etwa auch an Blumenrabatten oder opulente Buffettische denken. Gerade die heterogene Wirkung der Scherben und die spezielle Farbigkeit der geformten Elemente unterstreichen den lebhaften Eindruck.   

Mit ihrer wunderbaren Hommage auf die Kulturtechnik der persischen Teppichknüpferei erinnert Beate Höing durch die Verwendung von Porzellanscherben gleichzeitig an zwei bedeutende Jahrtausende alte Handwerkstraditionen, die dabei sind, ihre ehemalige Bedeutung zu verlieren. Man denke an Ai Weiwei. Die Aufnahme der traditionellen Kunst des Teppichknüpfens in Fars und Kaschan in die Repräsentative Liste des immateriellen Kulturerbes der Menschheit bestätigt die Sorge.

Auch der zweite Teppich „Lebensbaum“ thematisiert nicht nur über den Einsatz von Porzellanbruchstücken Vergänglichkeit und Wandel. Aufgebaut aus weißblauen Scherben und geformten weißglasierten Einzelelementen greift diese Bodenarbeit ein für nahezu alle Kulturen gültiges Thema auf: den Lebensbaum als Symbol für Wachstum, Gesundheit und Lebenskreislauf.

Beate Höing nimmt aufgrund ihrer persönlichen Sozialisation eindeutig Bezug auf die christliche Variante als Sinnbild für das verlorene Paradies, allerdings in einer sehr eigenen Ausprägung. Der weiß glasierte Baum, flankiert von Adam und Eva in Medaillons, überwuchert mit Zweigen, Ranken, Blüten und Blättern das gesamte Teppichfeld. Die Schlange als dritte Protagonistin vervollständig die Szene, ergänzend sind Weintrauben und – allerdings tote – Vögel aus der christlichen Ikonografie vertreten, aber auch Quallen, Schmetterlinge und Käfer. Auch die Farbwahl ist der christlichen Farbenlehre entlehnt. Das Weiß, Ausdruck der Sündenlosigkeit und Reinheit, konterkariert allerdings das dargestellte Thema des Sündenfalls mit anschließendem Paradiesverlust. Das Blau der Scherben –, hauptsächlich von erkennbaren traditionellen Geschirrserien –, als Farbe der Beständigkeit und Unendlichkeit bis hin zur Unsterblichkeit, führt ebenfalls das Thema ad absurdum. Mit dem Kosten des Apfels vom Baum der Erkenntnis hat der Mensch zwar Bewusstsein gewonnen, aber dadurch seine Unsterblichkeit verloren. 

Der dritte Teppich, erst 2021 entstanden, erinnert allein wegen seiner runden Form am wenigsten an Teppichvorlagen. Ein großes, abstrahiertes, in blau gehaltenes Blütenmedaillon markiert das Zentrum der hauptsächlich blau-weißen Bodenarbeit, die durch eine grün-gelbe Bordüre gefasst ist. Besonders die acht Medaillons, ausgefüllt mit verschiedenen Gesichtern, Fratzen und Tierantlitzen irritieren. Handelt es sich um ein Mädchen und einen Jungen, Nymphen oder Monster, Teufel oder Wassergeister? Ihre Entschlüsselung mag nicht gelingen. Zwischen ihnen sind in Mandorlen Vögel gelegt, tot oder lebendig, auch das ist nicht eindeutig zu beurteilen. Üppig wachsen blaue Blüten seerosenartig aus dem blau-weißen Teppichfeld.  

Bemerkenswert sind die Nuancen der Blautöne in dieser Arbeit, die auch hier für Unruhe, Spannung und Lebendigkeit sorgen. Durch das Experimentieren mit Engoben und Glasuren erzielt Beate Höing diesen gewünschten Effekt von variantenreicher Farbigkeit, von Schmelz und Schimmer, von Durchlässigem und Verlaufendem, der ebenfalls so typisch ist für ihre Malerei, dort hervorgerufen durch den vielschichtigen Lasurauftrag. 

Besonders die blaue Farbigkeit lässt an einen Teich mit üppigen Seepflanzen denken, umgeben von einer grünen Wiese. Die blauen Gesichtmedaillons erinnern zudem an Spiegelungen und könnten als Vanitashinweise gedeutet werden. Oder handelt es sich um ein übergroßes Mandala als Verkörperung des Universums? Auch werden Assoziationen geweckt an blau-weiß glasierte Keramikreliefs der florentinischen Bildhauerfamilie della Robbia des 15./16. Jahrhunderts, die ebenfalls häufig mit grün-gelben Blätterkränzen umrahmt waren.

Mögen die „Teppich“-Bodenarbeiten von Beate Höing zunächst durch ihre optischen Reize die Rezipient:innen in ihren Bann ziehen, so sind es die Fülle der Erinnerungsangebote, die Interpretationsspielräume und die Komplexität der Sinnbezüge, die sie so eindrucksvoll machen. Neben allen persönlichen Deutungsmöglichkeiten untermauern sie die allgemeine Erkenntnis, dass im Laufe der Lebensdauer eines Objekts sich Kontexte und Bedeutungen ändern: Wieviel wird bei einer Veränderung bewahrt und wieviel wird verändert, wenn Dinge bewahrt werden? 

Gudrun Schmidt-Esters M.A.

Kunsthistorikerin, Museumsleiterin KERAMION

(english)
What remains …

Wallpaper, curtains, lace, folklore bonnets and crocheted tablecloths – Beate Höing wholeheartedly celebrates ornaments in her paintings. Their various designs are rendered somewhat hazy by multi-layers of glazing that magnetically draw our eyes to almost grudgingly reveal the protagonists in the tiny scenes. 

With this obvious fascination for the ornamental, it comes as no surprise that Beate Höing fairly recently converted to lavishly designed carpets as an artistic motif? All the greater perhaps may be the surprise that the artist uses a very hard and cold material for these large floor works: ceramics. Since 2008 the artist has worked with ceramic and uses clay to make her painting three-dimensional. The seemingly improvised way she forms the figures in combination with somewhat kitschy ceramic fragments seem to come about from the cosy atmosphere of her small inner images or still lives. Also in this context, the artistic occupation with carpets seems logical.

To fabricate her “carpets” Beate Höing takes thousands of deliberately shattered porcelain remnants to create orderly arranged assemblages of luxurious opulence. Initially, the three floor works – ”playing by heart” and “tree of life” in 2020 and “hang on to a dream” in 2021 – captivate by their surfeit and splendour, yet a more general look may make the beholders uneasy and may eventually call up an uncanny reaction in them? 

In an art context, who wouldn’t immediately recall Ai Weiwei’s action in 1995 ”Dropping a Han Dynasty Urn”. Is Beate Höing also deploying similar means to reflect on the loss of cultural traditions? Is the smashing of ceramique uniques or that of commercial serial kitsch a rumination on art and commerce or even an indication of society’s sorry loss of values? 

The broken shards of plates and dishes are a part of everyone’s daily life, witness to the fragility of ceramic material and quite clearly the objects innate finite existence, whether rare-limited editions or mass produced goods. Broken into splinters, they are not only robbed of their beauty, perfection and function but also of their monetary value. 

What remains are, at best, engaging memories of the intact components they once were and as such were perhaps even loved. 

Similar to the above action of the Chinese star artist, Beate Höing does not really limit herself to the aggressive act of breakage but ties it concretely to new aesthetic contexts. Ai Weiwei doesn’t use the resulting shards concretely but he transformed them as a documenting photo sequence into another artistic genre. And always against the backdrop of remembrance; the compositional theme of transience remains, as well as a consciousness of memory per se. 

Beate Höing’s aesthetical re-interpretation of objets trouvés is a highly complex if also playful process. Like all of her works, the “carpets“ are situated in the realm of folklore, mythology, cultural history, fairy tales and her own memories. 

In “playing by heart” from 2020, the reference to oriental carpets becomes especially relevant, thanks to the perspective from above, Beate Höing takes on the size and ornaments of so-called “Persian” carpets when she adorns the centre of her rectangular floor works with a star-shaped medaillon, encircled by various blossom designs in cartouches, arranged on a blue rhombus. Also the floral corner motifs and the borders take up the design of an actual carpet. But instead of a fluffy carpet that welcomes bare feet, sharp porcelain barbs loom into the room.

As is typical for Beate Höing, the motifs in their richness and selection of the broken ceramic shards consist of narratives. Different stories for each one of us since each makes his/her personal choice from what Höing offers. Nothing is predetermined; her works trigger different associations. And it is precisely the three-dimensionality of “playing by heart” that calls up flower beds or, for example, opulent buffet tables. The heterogeneous shards and the special colouring of the shaped elements accentuate their vivid expression. 

With her wonderful homage to the cultural technique of Persian carpet weaving, Höing cites with her use of porcelain shards two important millenia of craftsmanship in Iran’s provinces, which are about to lose their former significance. Think of Ai Weiwei! This worry is confirmed by the fact that the traditional art of carpet weaving in the provinces of Fars and of Kaschan have been added to the list of the Intangible Cultural Heritage of Humanity. 

By its use of broken porcelain, the second carpet, too, has not only the theme of transience and change. Constructed out of white-and-blue shards and individually shaped white-glazed elements, it takes up a theme that is valid for almost all cultures: the tree of life as a sign of growth, plus health and life cycles. 

Owing to her own socialisation, Beate Höing clearly refers to the Christian variant as a sign of the lost paradise, albeit in a very unique form. The white-glazed tree, flanked by Adam and Eve within medallions, overgrows the entire carpet field with its branches, tendrils, blossoms and leaves. The snake as the third protagonist completes the scene, complemented by grapes as well as birds – though dead – from the Christian iconography, yet also includes jellyfish, butterflies and beetles. 

The choice of colours is also borrowed from Christian colour theory. The white, an expression of the sinless and the pure, counteracts the depicted theme of the fall of man and the subsequent loss of paradise. The blue of the shards – mainly of a recognisably traditional tableware series – shrinks the theme ad absurdum. By savouring the forbidden apple from the tree of knowledge, man has gained consciousness but lost his immortality. 

The third carpet “into the blue” from 2021 resembles in its round shape a Persian carpet the least of the three. A large abstract-like flower medaillon in blue-and-white marks the centre of the floor work, which is encircled in a green-yellow border. Especially irritating are the eight medaillons featuring different faces, grimaces and animal heads. Is this a girl and a boy, nymphs or monsters, devils or water sprites? They may not be decipherable. Between them are birds – dead or alive? – placed inside mandorlas. This, too, is hard to decode. From the blue-and-white carpet grow blue flowers that could be water lilies in profusion. 

The nuances of the blue colours are remarkable here, providing agitation, tension and liveliness. Through her experimentation with engobes and glazes, Beate Höing attains the desired effect of a diverse colour range, from melt and shimmer, unretentive and ongoing, again so typical of her painting, which has been wrought by applying multiple wavering layers of glaze. 

It is especially the blue colouring that makes one think of a pond containing sumptuous water plants surrounded by a green meadow. The blue face medaillons moreover recall mirrored reflections and could stand for vanitas. Or is it perhaps an oversized mandala as an embodiment of the universe? Associations are also triggered of the white-and-blue glazed ceramic reliefs of the Florentine della Robbia family in the 15th/16th centuries, floor works which were also framed in a green-yellow wreath of leaves. 

Even though the “carpets” may initially captivate Höing’s beholders, it is the range of the memories, the interpretational scope and the complexity of the images that make them all so impressive. Apart from all the personal possibilities of interpretation, they support the general realisation that its contexts and significance change during the life of an object.

How much will remain after such a shift and how much will change even when a thing stays the same? 

Gudrun Schmidt-Esters M.A.
Art historian, Museum Director KERAMION 

From the German by Jeanne Haunschild, Bonn 

Remember me
Dr. Olena Balun, Kuratorin, Kunsthistorikerin

            Das Thema der Erinnerung findet sich immer wieder in Beate Höings Oeuvre. In verschiedenen Medien wird dies mit unterschiedlicher Intensität, aber stets mit Feingefühl zur Geltung gebracht.

            Die Keramikserie der Vögel (Abb…), die seit 2012 fortlaufend mit neuen Stücken vervollständigt wird, ist ein durchaus charakteristisches Beispiel dafür. Die Reihe fing mit einem traurigen Ereignis an. Eine Kohlmeise flog gegen das Atelierfenster. Die Künstlerin holte sie ins Haus und fing an, den Vogel zunächst zu zeichnen und dann in Ton zu formen. Bei der Keramikarbeit ging es nicht mehr um die Abbildhaftigkeit, die entstandene Plastik hatte optisch wenig mit einer Kohlmeise zu tun. Viel mehr war es ein Erinnerungsbild der Zartheit, Fragilität und Verletzlichkeit sowie auch ein Fortleben durch die Kunst in einer neuen Materialität, einem neuen, auch zerbrechlichen Körper. Durch die aufrechte Hängung an der Wand erhielt der ursprünglich liegend konzipierte Vogelkörper auch eine neue Konnotation. Die emporsteigende Haltung verlieh der Skulptur eine optimistische Bedeutung. Diese Art der sanften Annäherung an den Tod sowie der poetische Gedanke des Lebendigmachen durch Kunst[1] lassen Parallelen zu Kiki Smith herstellen, zu deren Bestiarium auch stets Vögel gehören und deren tierbezogene memento mori-Bilder viel Innigkeit und Berührung offenbaren.[2]

            Mit dem ersten Stück der Vogel-Serie wurde bei Beate Höing ein memento mori zum Bild der Hoffnung oder gar der Wiedergeburt. Ikonographisch erscheint dies logisch, denn in vielen Kulturen gehören Vögel zur Symbolik des Numinosen als Wesen, die der göttlichen Sphäre angehören oder sich zwischen Dies- und Jenseits bewegen. In der christlichen Ikonographie werden sie auf Porträts der Verstorbenen abgebildet,[3] als Attribute des Jesu-Kindes dargestellt,[4] und der Heilige Geist wird von einer bestimmten Vogelart verkörpert, der Taube. Interessant erscheint es hier anzumerken, dass kirchliche Skulpturen der Heilig-Geist-Tauben in zahlreichen Altären eine Haltung aufweisen, die Beate Höings Keramikvögeln sehr ähnlich sieht: mit ausgebreiteten Flügeln, Füße vor der Brust haltend, liegend konzipiert und durch eine aufrechte, emporsteigende Präsentation eine erhabene Wirkung erlangend.

            Die Reihe der Vögel ist seit 2012 stark gewachsen. Spezielle Vogelarten kann man dabei nicht mehr ausmachen, es sind verallgemeinerte Symbolbilder der Vergänglichkeitsüberwindung. Jedes dieser Flügelwesen hat Charakter, Mimik und Gebärden, oft lächeln sie, sehen gar wie Blumen oder Tänzer aus.

            Die Vergänglichkeit ist kein seltenes Thema in der zeitgenössischen Kunst. Zugang dazu und Ausdrucksmittel sind verschieden, von Provokationen Damien Hirsts „The Physical Impossibility in the Mind of Someone Living“ (1991) mit Tierkörpern in Formaldehyd bis zu berührenden Installationen von Christian Boltanski wie z.B. „Vanitas“ (2009) in der Chorkrypta des Salzburger Doms. Eine versöhnende Haltung des letzteren lässt sich in einzelnen Fällen mit der hellen Stimmung in Beate Höings Werken vergleichen. Der Vergleich zu Annette Messagers Arbeit „Pensionnaires“ (1971) mit zahlreichen präparierten Spatzen in selbstgestrickter Babykleidung liegt vielleicht auf den ersten Blick nahe, jedoch ist die Aussage in Höings Werk eine andere, das Thema der Geschlechteridentitäten und der Düsterheit Messagers fehlen hier gänzlich. Ein solch lebensbejahender Umgang mit der Thematik des Todes wie bei Höing findet Vergleiche vor allem in der Volkskunst, einer wichtigen Inspirationsquelle der Künstlerin. Sie besitzt eine große Sammlung polnischer religiöser Plastiken, „Hausgötter“ und Herrgottswinkel begleiten sie seit ihrer Kindheit.[5]Das völkisch-festliche Flair dieser Objekte mit ihrer naiven, dennoch stets authentischen Ästhetik findet man auch in Höings Skulpturen und Gemälden. Ihren persönlichen, familiären Zugang zur Tradition, Kultobjekten und Vergänglichkeit kann man mit manchen Arbeiten von Frida Kahlo vergleichen: Stillleben aus diversen Dekaden sowie Werken „Der Traum“ (1940) und „Der tote Dimas Rosas im Alter von drei Jahren“ (1937). Korrespondenzen hiermit lassen sich in Höings Stilllebenserie „Herrgottswinkel“ sowie zahlreichen Genrebildern, darunter dem Gemälde „Über Erden“ (2012, Abb. …) finden. Darauf ist eine etwas ungewöhnliche Totenwache dargestellt. In einem Wohnzimmer, das als Inbegriff der Heimeligkeit gelten könnte, ist ein strahlend weißes Totenbett aufgestellt mit einer darin liegenden alten, zierlich wirkenden Dame. Am Kopfende steht ein großer Strauß weißer Blumen, zahlreiche Kerzen tauchen den Raum in ein sanftes Licht. Drei sitzende Frauen flankieren die Liegende. Die Stimmung ist keinesfalls bedrückend, sondern besänftigend. Alle, sogar die Frau im Sarg, lächeln die Betrachtenden an. Durch den Blickkontakt und den Blickwinkel in den Raum von weit oben gelingt der Künstlerin ein raffinierter Griff. Die Verstorbene ist zwar körperlich noch da, aber auch schon „über Erden“, sie sieht uns an und auch mit uns ins Zimmer. Wir blicken ihr „über die Schulter“, finden uns plötzlich ihr ganz nah. Mit dieser Feststellung entfaltet sich die Wirkung des Bildes. Mit Werken wie diesem schafft die Künstlerin kleine Erzählungen, Vorstellungswelten, die emotional beladen sind, jedoch keine vorbestimmten Interpretationsmodelle bieten. Darin liegt zweifelsohne ihr Charme.


[1]Petra Giloy-Hirtz: Kiki Smith. Procession „A Wonder Version of Life“, in: Kat. Ausst. Kiki Smith. Procession, München/London/New York 2019, S. 11-31, hier S. 26.

[2]Vgl. Ebd. S. 26, 28.

     Neben der großen Keramikvogelserie ist in Höings Oeuvre auch ein Selbstbildnis mit einem toten Vogel in den Händen zu finden, das Parallelen zu Kiki Smiths „Pietà“(1999) ziehen lässt, einem seriellen Selbstbildnis Smiths mit ihrer verstorbenen Katze Ginzer.

[3]Zu den berühmtesten Beispielen zählt das Porträt Giuliano de Medicis von Sandro Botticelli. Das Bildnis entstand nach der Ermordung des Fürsten infolge eines Komplotts 1478. Darauf, dass es sich hierbei um ein posthumes Porträt handelt, verweist neben den gesenkten Augenlidern des Dargestellten eine Darstellung der Amsel auf einem verdorrten Zweig.

[4]Ein prägnantes Beispiel ist Raffaels „Madonna mit dem Stieglitz“. Die gängige Interpretation des Vogels mit einer roten Federfärbung am Kopf ist der Verweis auf die Passion Christi. Diese ist jedoch untrennbar von der Auferstehung und der Hoffnung für die Menschheit.

[5]Beate Höing im Gespräch mit Jutta Meyer zu Riemsloh, in: Kat. Ausst. Beate Höing. Herrgottswinkel; Düsseldorf 2013, S. 3-6, hier S. 6.

(english)
Remember Me
Dr. Olena Balun, curator, art historian

In Beate Höing’s oeuvre, remembering is a constant theme that is expressed in different materials and brought to our attention with various intensity and a waft of subtlety.

The series of ceramic birds (Fig…), which with new pieces since 2012, has been an ongoing project that is quite characteristic for Beate Höing. The series began with an unhappy incident. A great tit flew violently against her studio window. The artist brought it into her house and began first to draw the bird and then to sculpt it in clay. The work was no longer about a visual likeness to the great tit. It was more a remembrance of its delicacy, fragility and vulnerability, as well as its survival through art in a new materiality, a new and fragile body. By hanging the sculpture upright on the wall, the bird’s physicality, originally conceived as prone, also took on a new optimistic connotation. This kind of gentle approach to death as well as the poetic idea of making something come alive through art1 allow parallels to be drawn to Kiki Smith, whose bestiary always includes birds and whose animal-related memento mori paintings touch on a great deal of inner calm.2

With the first of the bird series, a memento mori became an image of hope or even of rebirth in Beate Höing’s work. Iconographically this seems logical, because in many cultures birds are understood as symbols of the numinous, as beings of the divine realm or between this world and the hereafter. In Christian iconography, they are depicted on portraits of the deceased,3 shown as attributes of the infant Jesus,4 while the Holy Spirit is portrayed as a dove. It seems interesting to note here that the church sculptures of Holy Spirit doves seen on numerous altars are posed very like Beate Höing’s ceramic birds: prone, with wings outstretched, feet held in front of the chest, their sublime effect resulting from an upright, soaring presentation.

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1Petra Giloy-Hirtz: Kiki Smith. Procession “A Wonder Version of Life“, in: cat.exh. Kiki SmithProcession: Munich/London/New York 2019, pp. 11-31, here p. 26.

 2Cf. ibid., pp 26, 28. 

Along with her extensive ceramic bird series, there is also a self-portrait holding a dead bird in her hands that shows parallels to  Kiki Smith‘s “Pietà“(1999), a  series of Smith‘s self-portraits of her dead cat Ginger. 

3One of the most famous examples is the portrait of Giuliano de Medici by Sandro Botticelli, who painted it following the murder of the Prince in a 1478 plot against the Medici family. The fact that it is a posthumous portrait is indicated by the Prince’s lowered eyes and by the depiction of a blackbird astride a bone-dry twig.

4A precise case in point is Raffael’s “Madonna of the Goldfinch”. It is said to refer to Christ’s passion, but this is inseparable from the resurrection and hope for humanity.

The series of birds has grown apace since 2012. Any specific species of birds can no longer be identified but have become symbolic images of overcoming transience. Each of these winged creatures has character, facial expressions and gestures; they often smile and may even resemble flowers or dancers.

Transience is no rare theme in contemporary art, though access to it and the means of expressing it vary, from the provocations of Damien Hirst’s „The Physical Impossibility in the Mind of Someone Living“ (1991) with its animal bodies cast in formaldehyde as well as  poignant installations by Christian Boltanski, such as „Vanitas“ (2009) in the choir crypt of the Salzburg Cathedral. A reconciliatory attitude of the latter can be compared in some cases to the bright mood in Beate Höing’s works. A comparison to Annette Messager’s work Pensionnaires (1971) with numerous taxidermied sparrows in hand-knitted baby clothes seems perhaps obvious initially, but Höing’s statement is different; the theme of gender identity and Messager’s gloom are here completely absent. Höing’s life-affirming approach to the theme of death stems primarily from folk art, an important source of inspiration for the artist. She owns a large collection of Polish religious sculptures, „household gods“ and Herrgottswinkel, have accompanied her since childhood.5 The folk-festive flair of these objects with their naive, yet always authentic aesthetic are also on display in her sculptures and paintings. Her personal, familiar approach to tradition, cult objects, and transience can also be compared to some of Frida Kahlo’s works, such as still lifes from various decades as well as „The Dream“ (1940) and „The Dead Dimas Rosas at the Age of Three“ (1937). Correspondences with this can be found in Höing’s still life series Herrgottswinkel“ as well as numerous genre paintings, including the painting „Über Erden“/Above the Earth (2012, fig. …). In it, a somewhat unusual wake is depicted. In a living room, which could be considered the epitome of cosy homeliness, a bright white deathbed has been set up with an old, dainty-looking lady lying in it. At the head end is a large bouquet of white flowers while numerous candles bathe the room in a soft light. Three seated women flank the reclining woman. The mood is not at all oppressive, but soothing. All of them, even the woman in the coffin, smile at the onlookers. By making eye contact and looking down into the room from above, the artist has managed a clever touch. The deceased is physically still here, but also already „above ground“, she looks at us, and also with us, into the room. We look „over her shoulder“ and are suddenly up close to her. With this presentation, the effect of the picture unfolds. Deploying works like this, Höing creates little narratives, imaginary worlds that are emotionally charged yet do not offer predetermined models of interpretation. Therein lies the artist’s charm.

5Beate Höing in an interview with Jutta Meyer zu Riemsloh, in: cat.exh Beate Höing. “Herrgottswinkel”, Düsseldorf  2013, pp. 3-6, here p. 6.

From the German by Jeanne Haunschild, Bonn

Gemalte Erinnerungskultur

Das menschlich-allzumenschliche in den Bildwelten von Beate Höing

Beate Höing widmet sich in ihrer Malerei den klassischen Bereichen des Portraits, des Stilllebens und des Interieurs. In immer neuen Beispielen und Variationen lotet sie die Möglichkeiten dieser traditionsreichen Bildgattungen aus, die mit ihrem Aufblühen und zugleich Höhepunkten im 17. Jahrhundert ihren Zenit eigentlich seit langem überschritten haben. Zwar wurden Bilder dieser Art auch im 18. und 19. Jahrhundert vielfach gemalt, doch bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts endete die ursprüngliche Bildidee und ein bedeutsamer Wandel stellte sich ein. Die einstigen Darstellungen bürgerlich-sittlicher Häuslichkeit änderten sich zusehends, radikalisierten sich sogar und mutierten bisweilen zu magischen oder gar metaphysischen Orten, die durchaus auch ihr eigenes Grauen entwickeln konnten. Mit der Malerei Beate Höings scheinen nun wieder die häusliche Gemütlichkeit und die Geborgenheit in die Stillleben und die Interieurmalerei eingezogen zu sein. Dieser Umstand muss den Betrachter natürlich stutzig machen.

Auf den ersten Blick wirken die Bilder von Beate Höing harmonisch und nett, vielleicht sogar anrührend und beinah kitschig, als habe sich jemand daran gemacht, sein heimisches Ambiente ins rechte und selbstgefällige Bild zu setzen. Die Themen und Versatzstücke sind schnell erkannt und vermeintlich auch durchschaut: Portraits von Menschen oder Tieren, Blumenvasen, Zimmerpflanzen, Kissen und Gardinen bestimmen die Bilder. Und alles in kleinem und daher überschaubarem Format – mehr für die Wohnzimmerkommode und die Fensterbank geeignet als für große Ausstellungsräume. Keine seriöse Kunst für die Öffentlichkeit – denkt man.

Erst wenn man sich intensiver auf diese Bilder einlässt, beginnen sich ihre Bildinhalte zu wandeln. Sie kippen quasi in einen anderen und neuen Bildsinn. Der zweite und tiefere Blick wird folglich belohnt, beschleicht einen doch allmählich ein gewisses Erstaunen angesichts der Intensität und Spannbreite des Dargestellten. Denn das vermeintlich Harmonische und Friedvolle dieser Bildwelten entpuppt sich bei näherem Hinsehen als eine doppelbödige, ja tückische Eintracht, die sich auch in ihr Gegenteil zu kehren vermag. Unbehagen über die anfängliche, naive Bewertung stellt sich ein. Die Bilder jedoch sind noch immer die gleichen.

Bei näherer Betrachtung weiten sich die bewusst klein gehaltenen Arbeiten zu eigenständigen Bildwelten, in denen Fantastisches ebenso seinen Platz hat wie die gewohnte Alltagsrealität. Letztere stellt Beate Höing gebrochen dar, sei es durch das leichte Verunklären, als sei das Dargestellte unscharf oder verschwommen, und andererseits durch das absichtsvolle Fokussieren auf scheinbar völlig banale Zusammenhänge. Vieles wirkt wie ein gemalter Spot.

Die Bilder können sich auch öffnen und enorme Bildtiefen entwickeln. Oftmals ist noch Platz für ein „Bild im Bild“, wenn die Innenräume ihren Vorbildern folgend tatsächlich noch ein kleines Bild an die Wand gehängt bekommen. Die Tiefenwirkung ihrer Malerei führt auch dazu, dass ein einzelnes kleines Bild sich durchaus an einer großen Ausstellungswand durchsetzen und behaupten kann. Dies traut man den miniaturhaften Bildern zunächst kaum zu. Tiefenwirkung erreicht Beate Höing nicht allein durch räumliche Darstellung, sondern auch durch die zahlreichen Schichten und Lasuren, aus denen ihre Bilder bestehen. Sie werden auf die ungrundierte Leinwand, die die Farben natürlich aufsaugt, solange übereinander gelegt, bis sich die gewünschte Bildwirkung einstellt. 20 bis 30 Malvorgänge mit Tempera- und Ölfarben – zum Teil mit Weiß gehöht – sind da keine Seltenheit. Dies ist „altmeisterlich“ und zeitaufwendig, führt aber letztlich zu der gewünschten Wirkung.

Auslöser ihrer Bilder sind oftmals alte Fotografien aus Familienalben. Diese eigentlich austauschbaren Fotos von Geburtstagen, Angehörigen, Wohnzimmern und Festtagen werden von ihr gesichtet, reflektiert und auf eine andere Ebene gehoben – nie abschätzig oder gar mitleidig wegen der darin enthaltenen und sich ständig wiederholenden Alltäglichkeiten, sondern im Gegenteil liebevoll, persönlich und gar mit einem intimen Blick auf die ursprünglichen Bildinhalte. Auch dieser respektvolle Umgang mit den vorhandenen Vorlagen und ihrer Geschichte macht die große Sinnlichkeit der Bilder Beate Höings aus. Zwar sind alte Fotos der Auslöser zu neuen Bildern, doch stets nur als kurzer Anlass, bevor ein intensiver Verselbständigungsprozess einsetzt, der zu völlig neuen und andersartigen Konstruktionen und Zusammenhängen führen kann. Zitat Beate Höing: „Es geht mir dann nur noch um das gültige neue Bild.“

Neben den Fotos aus Vergangenheit und Kindheit sind auch Märchen und Erzählungen wichtige Grundlagen ihrer Arbeiten. So begegnen wir Schneewittchen und Rotkäppchen ebenso wie bezaubernden Prinzessinnen und geheimnisvollen Nixen und werden an ein Stück heile Welt unserer Kindertage erinnert. Auch diese Themen tragen zum großen Déja-vu-Effekt ihrer Bilder bei und mancher Betrachter mag sich staunend fragen, wo er das gegenwärtig zu Sehende schon einmal erblickt hat – die Blume bei der Oma? Die Tischdecke bei der Tante? So einen Wohnzimmerschrank hatten wir damals auch! Texturen und Stofflichkeiten liegen Beate Höing besonders am Herzen. Daher die Fülle an Gestricktem, Gewebtem, Pelzen und Fellen in ihren Bildern. Deren Natürlichkeit, aber auch Plüschigkeit, erreicht sie ebenfalls durch ihre zahlreichen Farbschichtungen, als sei eine Dosis Weichspüler zuviel in die Waschmaschine geraten.

Mit ihren Einrichtungsgegenständen übertreibt Beate Höing nach eigenem Bekunden gern. Statt zu reduzieren, setzt sie oft noch einen drauf: hier noch ein Dekor, da noch eine Vase; hier noch ein Teppich, da noch ein Ornament – immer auf der Suche nach einer imaginären Grenze, die dann aber nicht weiter überschritten werden darf. Dann ist das Bild eben komplett und damit auch vollendet. Die eigentlichen Bildinhalte jedoch bleiben weiterhin verschlüsselt und damit rätselhaft. Sie sind niemals vollständig geklärt. Das neue und eben andere Bild bleibt ein geheimnisvoller, in sich abgeschlossener Mikrokosmos.

Bisweilen sind ihre gemalten Protagonisten den Bildern entstiegen und haben sich als Keramikstatuetten offensichtlich selbständig gemacht. Mit absichtsvoll in „Würstchentechnik“ gedrehten Haaren, doch adrett gekleidet, treten sie den Betrachtern in ganzer Unschuld, aber durchaus würdevoll entgegen getreu dem alten Lutherwort: hier stehe ich, ich kann nicht anders! Oftmals werden die Figuren kombiniert mit käuflicher Kitschkeramik, in der sie schicksalhaft stecken oder in die sie liebevoll eingebettet sind. Kleinbürgerliche Spießigkeit trifft auf Kunst und umgekehrt. Doch auch hier kippt die ursprüngliche Bilderwartung schnell. Zitat: „Man wird zuckersüß angefüttert, aber dann stellt man fest, dass es einem nicht schmeckt!“

Zu den gemalten Herrgottswinkeln gesellen sich nun getöpferte, bisweilen aufgereiht wie auf dem Flohmarkt: Jesus neben einem Räuchermännchen, Heilige neben Nippesfiguren. Manche der industriell erzeugten Keramiken wurde entzwei geschlagen und als „Trümmerkinder“ den eigenen Kreationen hinzugefügt. Hierbei werden beide Stücke gemeinsam gebrannt, sodass die industrielle Ware ein zweites Mal in den Ofen kommt und somit auch neue Oberflächen erhält. Der belebende Kontrast zwischen den professionellen Erzeugnissen und den eigenen, vermeintlich dilettantisch erstellten, ist hierbei sogar erwünscht.

Neben einzelnen Keramikfiguren erstellt Beate Höing auch ganze Figurenarrangements. In früheren Jahrhunderten wurden derartige Kompositionen als Tafelaufsätze bei festlichen Anlässen auf die Tische gebracht. Heidnische Mythologie durfte sich hier mit religiösen Darstellungen messen, dicht gefolgt von dynastischen Repräsentationsdarstellungen des einladenden Hauses. Hier schöpft sie aus dem überreichen Fundus der Kunstgeschichte, des Kunstgewerbes und der Volkskunde. Mehr noch als die Bilder entwickeln die Sujets der Keramiken ihr surreales Eigenleben.

Insgesamt bietet Beate Höing einen schonungslosen Blick auf Erlebtes und Erinnertes. Banalitäten des Alltags werden von ihr in Form von Schnappschüssen festgehalten und dann zu eigenen, sinnlichen Bildwelten gesteigert. Nicht als Selbstzweck, sondern zur Spiegelung der Gegenwart. In dieser stecken wir alle, bevor der kurz erlebte Augenblick bereits wieder zu Geschichte geworden ist.

Dr. Martin Gesing (Stadtmuseum Beckum)

(english)
Down Memory Lane in Picture
The human/all-too-human in Beate Höing’s picture worlds

In her paintings, Beate Höing devotes herself to the classical fields of portraiture and of still life & interiors. In ever new examples and variations, she fuses together the possibilities of these traditionally rich genres, which arose and flourished in the 17th century, only to then decline. Though works of this kind were also painted in the 18th and 19th centuries, by the beginning of the 20th century the original pictorial concept had come to an end and a significant transformation took place. The onetime depiction of bourgeois and morally principled domesticity changed visibly, even radicalized and mutated at times to magical or even metaphysical settings, where they could very well develop their own horror. In Beate Höing’s paintings, still life and interiors once again seem to radiate domestic coziness and reassurance. This state of affairs must inevitably make a viewer skeptical.

At first glance, Beate Höing’s paintings seem harmonious and pleasant, perhaps even touching and almost kitschy, as though someone had set out to place her own homey ambience in the proper self-satisfied light. The themes and the props are quickly recognized and presumably also seen through: portraits of people or animals, vases of flowers, indoor plants, cushions and curtains, all describe the paintings. And the entire lot in a small, readily comprehensible format: more suitable for the living room mantle than for large exhibition rooms. Hardly serious art for a public showing—we muse.

Not till you delve more deeply into these pictures do you see the way their contents reshape themselves. They seem to tilt into an other, new pictorial sense. The second and deeper look is ultimately rewarded, as gradually a certain amazement sets in, regarding the intensity and range of what is portrayed. For a closer look reveals that the presumed harmonious and peaceful picture worlds have an accord that is double-edged and even insidious, capable of turning into its opposite. We become uneasy about our initial, naïve evaluation. Yet the pictures have remained the same.

A closer look reveals that the deliberately small works expand into autonomous picture worlds in which fantasy has a place beside normal everyday reality. And Beate Höing depicts the latter as broken, whether via the slight obscurity as though the portrayal was out of focus or hazy and, on the other hand, via the intentional centering on seemingly banal contexts. Much has the effect of a painted advertisement.

The pictures can also open up and develop enormous pictorial depths. There is often even room for a “picture within a picture”, when the interiors, imitating their prototypes, are actually graced with their own picture on the wall. The effect of her paintings’ depth also means that a single small picture can prevail and assert itself against a large exhibition wall. You at first hardly expect these miniature-like pictures to do so. Their three-dimensional effect is something Beate Höing not only achieves by her depiction of space, but also via the many layers and glazes of paint that constitute her canvases. The strata are applied one over the other on the unprimed canvas that absorbs paint naturally, until the desired effect is attained. Twenty to thirty painting sessions with tempera and oils—in part highlighted in white—are not uncommon. This is done in old masterly style and is time-consuming, but in the end achieves the desired effect.

Her paintings are often triggered by old photographs from family albums. These in fact interchangeable photos of birthdays, relatives, living rooms and holidays she leafs through, reflects on and raises to another level, never in disrespect or even pityingly as regards the constantly repetitive commonplaceness but, on the contrary, lovingly, personally, and even with an intimate view of the original occasions. Also this respectful treatment of the available source material and the stories it tells make up the keen sensuality of the artist’s works. Old photographs are the trigger for the new paintings, but only as a brief stimulus before an intense matter-of-course process sets in, which can lead to thoroughly new and different constructions and contexts. As Beate Höing says: “With me it’s all only about the new, relevant picture.”

Along with photos from the past and from childhood, fairy tales and stories are also major foundations for her works. Thus we encounter Snow White and Little Red Riding Hood just as well as charming princesses and mysterious nymphs, who recall a portion of an idyllic world from our childhood days. These themes also contribute to the great déja-vu effect of her paintings, and many viewers may ask in surprise where they may have seen this image before: perhaps the flowers at grandma’s? The tablecloth at your aunt’s? We used to have a living room cabinet like that! Textures and materials are near and dear to Beate Höing. And thus this abundance of furs and pelts, of the knitted and the woven in her pictures. Their naturalness, but also their plushiness she has accomplished via numerous paint layers, as though one dose too many of softener had invaded the washing machine.

By her own account, Beate Höing likes to exaggerate when it comes to furnishing accessories. Instead of reducing, she ups the ante: here one more décor, there another vase; here an added rug, there another ornament—always on the lookout for an imaginary boundary line that she must then not further overstep. Till voilà, the picture is complete and thus true. The actual content of the picture, however, remains encrypted and indeed enigmatic. It is never fully clarified. The new and, yes, different picture remains a mysterious, closed-off microcosm.

Occasionally her painted protagonists climb out of their pictures and become autonomous as ceramic statues. With hair intentionally rolled up “hotdog fashion” but smartly dressed, they step toward the viewers in full but dignified innocence, true to Luther’s word: Here I stand, I can do no other! Often the figures are combined with commercial kitsch ceramics, in which they are fatefully caught or rather lovingly embedded. The petit bourgeois meets art and vice versa. But here too the original expectation of a picture quickly flips. Quote: “You are lured with sugar sweet, but discover you dislike the taste!”

In addition to the painted family shrines, pottery pieces are at times lined up like wares at a flea market: Jesus next to incense smokers, saints next to figurines. Many an industrially produced ceramic was broken in two and as “rubble striplings” added to her own creations. Whereby both pieces are fired in tandem, so that the industrial ware goes through the oven twice over and is given a new exterior. The stimulating contrast between the professional products and one’s own, assumably dilettante, pieces is even specifically intended.

Along with single ceramic figures, Beate Höing also creates whole figure arrangements. In former centuries, such compositions were set on a table as centerpieces for festive occasions. Heathen mythology may vie here with religious depictions, closely followed by dynastic representational depictions of the highborn hosts. Here she draws on the copious fund of art history, applied art and folklore. More than the pictures, the ceramics and their subjects take on a surreal life of their own.

On the whole, Beate Höing offers a merciless view of past experiences and past memories. She records everyday banalities in the form of snapshots and inflates them into personal, sensual picture worlds. Not as ends in themselves, but as reflections of the present. All of us are part and parcel of these, before the briefly experienced moment sinks again into history.

Dr. Martin Gesing (Stadtmuseum Beckum)

translated by Jeanne Haunschild


Kleines Memorandum

Mit ihren kleinformatigen Bildern und Objekten entführt Beate Höing den Betrachter in eine schwindende Welt. Ihre Gemälde basieren auf Fotografien aus privatem Fundus und zeigen eine kleinbürgerliche Welt mit Spitzendeckchen und Häkelkissen, Plastikblumen und Mustertapete, in der zwischen rustikalem Mobiliar und liebevollem Nippes irgendwie von allem etwas zu viel ist. In solcherlei Welten heimeliger Ordnung hängen zahllose Erinnerungen an Kindheit und Geborgenheit, an eine gewisse (moralische, vielleicht auch geistige) Enge, die sich mit heutigen Globalisierungsbestrebungen auf den verschiedensten Ebenen nicht mehr wirklich verknüpfen lässt. Aber diese Form altertümlichen Ambientes birgt (oder barg) auch eine beruhigende menschliche Dimension und das Gefühl von einer (ehemals) heilen Welt. Beate Höing transportiert und transformiert in ihren Arbeiten Kindheitserinnerungen, die das kollektive Gedächtnis des Betrachters konservieren und berühren.

Allerdings tut sie dies nicht in dokumentarischer Form. Ihre Bilder von einer gewissen altbackenen Gemütlichkeit haben etwas irritierend Tiefgründiges an sich, das sich nicht auf den ersten Blick erklärt. Vielleicht ist es die Fokussierung auf eine Wohnform als Ausdruck einer Lebensform, die so gar nicht mehr in unser modernes Streben nach „Schöner Wohnen“ passen mag. Märchenhaft-kindliches verbindet sich liebevoll mit Spießigkeit und Muff, ohne Herablassung, aber auch ohne Idealisierung oder Wehmut.

In den Porzellan-Objekten, die Beate Höing aus Flohmarktstücken und selbst gefertigten Figuren komponiert, fasst sie die Welt ihrer Bilder auf ironische Weise neu. Den teils kitschigen, teils preziösen Porzellanfigürchen vom Flohmarkt gesellt sie eigenen Figurinen zu, die den gefundenen Objekten einen neuen narrativen Gehalt verleihen. Diese bewusst unperfekten Figurinen, die stets ein wenig improvisiert und schräg wirken, versinnbildlichen die Brüchigkeit und Verletzlichkeit der heilen Welt, die sie – und die Gemälde – spiegeln.

So bietet Beate Höing dem Betrachter einen humorvollen Blick auf eine kleine Welt, die uns mit ihrer Privatheit und Intimität bisweilen mehr bedeuten mag als jede weltmännische Freiheit, erinnert sie doch einen Hort der Geborgenheit, der vielleicht Sehnsüchte und Erinnerungen wachruft an vergangene Zeiten, die aber immer weniger funktionieren, weil sich die Generation, der sie verpflichtet ist, allmählich auflöst.

Der Künstlerin Beate Höing sei an dieser Stelle gedankt dafür, dass sie mit ihrem kleinen, in Bildern und Objekten gefassten Memorandum, an diese schwindenden Welten die beteiligten Häuser in Beckum, Gütersloh und Siegburg mit einem Augenzwinkern zu Erinnerungsstätten an kollektive Wohnkultur und damit an eine bald schon historische Gesellschaftsform macht.

Dr. Gundula Caspary (Stadtmuseum Siegburg)

(english)
A Small Memorandum

With her small-scale pictures and objects, Beate Höing lures the viewer into a shrinking world. Her paintings are based on photographs from a private fund and show a petit bourgeois ambience with lace doilies and crocheted cushions, plastic flowers and patterned wall paper, in which—between rustic furniture and loving bric-a-brac—there is simply too much of everything. In such worlds of homey orderliness there repose many memories of childhood and snug security, of a certain (moral, perhaps also mental) narrowness that, with today’s globalizing efforts, can no longer really relate to all of life’s diverse levels. But this form of antiquated climate also embraces (or embraced) a comforting human dimension and the feeling of a (former) idyllic world.

In her works, Beate Höing transports and transforms childhood memories that conserve and touch on the viewer’s reminiscences. She however does so not in any documentary form. With a certain dowdy coziness, her pictures have something irritatingly profound in them, which cannot be explained at any first glance. Perhaps it is this focus on a form of living as the expression of a life style that may no longer suit our modern attempt at gracious living. Something fairy-tale and child-like is lovingly paired with smugness and fustiness, without condescension but also without idealization or wistfulness.

In her porcelain objects, Beate Höing recreates ironically the world of her paintings, which she composes from flea market finds and her handmade pieces. She couples her own figurines with the partly kitschy, partly pretentious porcelain figurines from secondhand sources, lending the found objects a new narrative content. The consciously imperfect figurines, whose effect is always somewhat improvised and quirky, symbolize the tenuousness and vulnerability of the cozy world that they—and the paintings—reflect.

Thus Beate Höing offers the viewer a humorous view of a small world that with its privateness and intimacy may at times mean more to us than liberal sophistication in recalling a cozy existence that awakens nostalgia and memories of past times, but that functions less and less since the generation obligated to it is gradually vanishing.

We thank Beate Höing for showing us this shrinking world in her small but artful memorandum defined by paintings and objects in an exhibition that will go on to participating houses in Beckum, Gütersloh and Siegburg. Her tongue-in-cheek memorial is to a collective way of living and a soon to be historical social form.

Dr. Gundula Caspary (Stadtmuseum Siegburg)

translated by Jeanne Haunschild


Text aus dem Katalog „Beate Höing“
anlässlich der Ausstellungen in der Galerie Peter Tedden, Düsseldorf, 2010

Memory Works

Erinnerungen nachzuspüren ist ein komplexer und weitreichender Prozess. Die Vergangenheit als reale Größe verliert im Laufe der Zeit ihre Gültigkeit: Sie existiert schließlich bewusst oder unterbewusst in der Erinnerung, individuell und nach den jeweiligen Dispositionen des sich Erinnernden verändert. Erinnerungen sind der Vergängnis ausgesetzt, bis sie in anderen Zusammenhängen zu einem neuen Leben erweckt werden. Sie lassen sich speichern, mittels technischer Medien, als Dokumentation eines speziellen Augenblicks. Sie erfahren aber auch eine mentale Wiederbelebung. Diese Bilder entstehen dann im Kopf und sind anders als beispielsweise die des Fotoalbums. Nicht dokumentierte Erinnerungen verweben sich mit anschaulichem Material, mit nicht selbst Erlebtem, zu einem individuellen Flashback. Jeder von uns trägt einen unzähligen Fundus an bildgewordenen Erinnerungen in sich. Es bedarf eines scheinbar nichtigen Anstoßes und die Bilder tauchen in diesen privilegierten Momenten an die Oberfläche des Bewusstseins.

Beate Höings plastisches und malerisches Werk thematisiert diese innere Zwiesprache und Suche nach den imaginären Bildern der Innerlichkeit. Auslöser sind häufig Fotografien aus ihrem biografischen und persönlichen Umfeld, Stofflichkeiten oder Gegenstände mit Wiedererkennungswert, aber auch eigene familiäre Rituale, scheinbare Banalitäten des Alltags. Sie bilden einen persönlichen Fundus der Künstlerin, der komplexe gedankliche Prozesse initiiert – Erinnerungsarbeit.

In im malerischen Werk präsentieren sich dem Betrachter vergangene Bilderwelten in Anlehnung an die fotografischen Vorlagen ausschnitthaft oder schnappschussgleich, und doch selektiert der Blick der Künstlerin die erinnerten Wahrnehmungen. Die zumeist kleinformatigen Bilder begrenzen den eigenen Erkundungsraum, halten die Betrachter gefangen und erzwingen die Konzentration auf das Wesentliche: Sie repräsentieren einen Mikrokosmos, der Ausdruck für die Intimität eines Augenblicks der Selbsterkenntnis ist. Farben und Ornamentik werden zu atmosphärischen Stimmungsträgern. Dargestellte Personen, auch in den Portraits, dienen in der Hauptsache der sinnlichen Widerbelebung längst vergangener Emotionen, aktualisieren diese in eine wirkungsmächtige Bildhaftigkeit und offenbaren Wünsche, Sehnsüchte, Ängste oder Glück in scheinbar zeitloser Präsenz.

Die malerische oder plastische Rekonstruktion der Vergangenheit lässt längst Vergessenes an die Oberfläche treten und evoziert Fragen: Warum berührt mich dieses oder jenes? Was sind das für Bilder in mir, die infolge dessen entstehen? Was passiert und welchen Bezug gibt es zur Gegenwart? Das ausgewählte Motiv wird zum Auslöser eines inneren Diskurses, bei dem eine eigene Sicht auf Ereignisse hinzugefügt und Schwerpunkte durch die Künstlerin gesetzt werden. Erlebte Momente aus der Vergangenheit und Gegenwart überlagern sich. Ebenso spiegeln sich die Kindheitserinnerungen der Künstlerin in den Erfahrungen und Erlebnissen mit den eigenen Kindern. Wandlung und Erkenntnis erschließen sich durch Überlappung verschiedener Ebenen.

Neu im Werk Beate Höings sind keramische Arbeiten. Das keramische Material transportiert indirekt die Vorstellung von Kitsch und Kunsthandwerk. Diese „Hypothek“ kommt der inhaltlichen Aussage, die Beate Höings Arbeiten in sich tragen, entgegen. Denn der Begriff „Keramik“ formuliert auch unbewusst die Sehnsucht des Menschen nach dem Unbeschädigten, Intakten und Sentimentalen, zum Beispiel der heilen Welt vergangener Kindertage. Im Material wird diese gedankliche Ebene als Ausdruck eines sozialen Gefüges direkt transportiert. Beate Höing steigert – fast provokant – diese Aussagekraft. Eingearbeitete Nippes- und Porzellanfigürchen, seit Jahrhunderten Inbegriff kleinbürgerlicher Spießigkeit, als Dekorationsartikel oder Souvenir geliebt oder als Kitsch abgetan, schmücken die farbigen Kleider der Mädchenfiguren oder dienen als Ruhekissen für Träumende oder Schlafende. Opulent erwachsen die Figuren aus floralen Sockelelementen. Die Kleinplastiken erscheinen als Wesen einer märchen- oder feenhaften Zwischenwelt. Trotz ihrer menschlichen Proportionen treten sie dem Betrachter nicht als eigenständige, personalisierte Abbilder der Realität entgegen. Die Plastiken Beate Höings sind als Portraits der Innerlichkeit zu verstehen. Sie entwickeln sich, aus dem malerischen Werk, in verstärktem Maße zu einem selbstständigen Sujet. Diese Arbeiten erlangen einen größeren Freiheitsgrad als die Malerei, da sie zum einen mehr Distanz zum auslösenden Moment der Erinnerung besitzen. Neu ist zum anderen der sich erweiternde Spielraum und die Öffnung für Surreales, Fantastisches und Unterbewusstes. Die gleichzeitige Direktheit in Bezug auf die Auseinandersetzung mit der Erinnerung geht dabei nicht verloren.

Beate Höings Bilder und keramische Arbeiten entwickeln sich thematisch aus dem persönlichen Anliegen ins Universelle. Sie sind als Erinnerungsfundus im Sinne einer Gesamtchronik zu verstehen.

Jutta Meyer zu Riemsloh